Wenn der Körper sich selbst angreift – Neues Medikament ist vielversprechend für die Behandlung der chronischen spontanen Urtikaria

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Patientinnen und Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria leiden unter regelmäßig wiederkehrenden stark juckenden Quaddeln, die ohne erkennbaren äußeren Grund überall auf der Haut erscheinen. Häufig treten zusätzlich Schwellungen im Gesichtsbereich auf, sogenannte Angioödeme, die oft für ein bis zwei Tage bestehen bleiben. Leider spricht die Standardtherapie mit Antihistaminika bei vielen Patientinnen und Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria nicht an. Diese können jetzt aber Hoffnung schöpfen. Eine neue klinische Studie unter Beteiligung des Fraunhofer ITMP zeigt vielversprechende Ergebnisse für die Wirksamkeit eines neuen Medikaments.

Berlin. Die chronische spontane Urtikaria (CSU) ist eine Erkrankung, bei der regelmäßig wiederkehrende, stark juckenden Quaddeln (punkt- bis plateauförmige Erhebungen der Haut) ohne erkennbaren äußeren Grund überall auf der Haut erscheinen. Die Quaddeln bestehen zumeist für einige Stunden und treten bei den meisten Patientinnen und Patienten täglich auf. Bei vielen Patientinnen und Patienten treten zusätzlich Schwellungen, sogenannte Angioödeme, auf, die sich zumeist im Gesicht, z. B. an Augen, Lippen oder Zunge zeigen und oft für ein bis zwei Tage bestehen bleiben. Von einer CSU spricht man, wenn beide oder eines der beiden Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Wochen wiederkehrend auftreten. Die meisten Patientinnen und Patienten leiden seit Jahren unter diesen Beschwerden.

Die Ursache der CSU liegt vermutlich in der Produktion sogenannter Autoantikörper. Normalerweise produziert unser Körper Antikörper gegen körperfremde Stoffe, um uns z. B. gegen Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren, die von außen in den Körper eindringen, zu schützen. Im Gegensatz dazu richten sich bei dieser Erkrankung Autoantikörper nicht gegen etwas Fremdes, sondern gegen körpereigene Eiweiße. Autoantikörper aktivieren die Mastzellen in der Haut, die sogenannten »Allergiezellen«, die wiederum Histamin freisetzen. Histamin ist eine Substanz, die eine zentrale Rolle in der Abwehr körperfremder Stoffe, aber auch bei allergischen Reaktionen, spielt. Als ein Botenstoff der Entzündungsreaktion, führt es über die Aktivierung von Blutgefäßen und Nervenfasern zum Anschwellen des Gewebes, und löst somit die Symptome der CSU, die juckenden Quaddeln und Angioödeme, aus.

Die bisherige Standardtherapie der CSU ist die Blockade der Histaminwirkung durch Antihistaminika. Leider können nur wenige Patientinnen und Patienten mit einer CSU durch die Einnahme dieser »Allergietabletten« ausreichend behandelt werden. Hoffnung für eine zukünftige, adäquate Behandlungsmöglichkeit dieser Patientinnen und Patienten verheißt eine kürzlich durchgeführte klinische Studie unter Beteiligung des Fraunhofer ITMP. Die vielversprechenden Ergebnisse wurden nun in »Nature Medicine«, einer führenden Fachzeitschrift mit Peer-Review, deren Schwerpunkt auf translationaler Medizin und klinischer Forschung in der Frühphase liegt, veröffentlicht. In der Studie erhielten Patientinnen und Patienten mit CSU, die auf die Standardbehandlung mit Antihistaminika nicht ansprachen, das Medikament Fenebrutinib oder ein Scheinmedikament (Placebo). Bei dem Medikament Fenebrutinib handelt es sich um einen Wirkstoff in Tablettenform, der die Aktvierung von Mastzellen und damit die Freisetzung von Histamin aus den Mastzellen verhindern kann. Darüber hinaus hat dieser Wirkstoff auch Effekte auf die Antikörperbildung, sodass möglicherweise sogar die Ursache für die Mastzellaktivierung, die Produktion der für die CSU verantwortlichen Autoantikörper, vermindert werden kann.

Nach der achtwöchigen Studie mit Fenebrutinib waren die Symptome bei vielen Patientinnen und Patienten gut unter Kontrolle, einige hatten sogar gar keine Krankheitssymptome mehr. Fenebrutinib könnte daher in Zukunft bisherige Standardtherapien bei der CSU ergänzen.

»Im Vergleich zu Placebo hatten die Patientinnen und Patienten, die im Verlauf der Studie mit mittleren und hohen Dosen von Fenebrutinib behandelt wurden, in Woche 8 – dem Endpunkt der Studie – einen größeren durchschnittlichen Rückgang der UAS7-Werte gegenüber dem Ausgangswert«, so Prof. Dr. Marcus Maurer, der gemeinsam mit Prof. Dr. Torsten Zuberbier den Fraunhofer ITMP-Standort für Immunologie und Allergologie in Berlin leitet. »Patientinnen und Patienten, die mit Fenebrutinib behandelt wurden, welches das Enzym BTK hemmt, hatten ihre Erkrankung gut unter Kontrolle. Daher hat die Studie gezeigt, dass der Einsatz von BTK-Inhibitoren bei CSU neue Behandlungsperspektiven eröffnet.«

 

Publikation

Metz, M., Sussman, G., Gagnon, R. et al.
Fenebrutinib in H1 antihistamine-refractory chronic spontaneous urticaria: a randomized phase 2 trial.
Nat Med 27, 1961–1969 (2021).

DOI: https://doi.org/10.1038/s41591-021-01537-w